BDN in Polen: Mit der Staatsmacht gegen Flugblätter

bdnDer polnischen Gewerkschaft Solidarnosc ist es gelungen, in der Druckerei BDN eine Betriebsgruppe zu gründen – obwohl die Druckerei zum deutschen Medienkonzern Bauer Media Group gehört, der das unbedingt verhindern wollte. Am 26. Oktober konnten polnische Gewerkschafter/innen bei einem gemeinsamen tarifpolitischen Workshop mit dem DGB Sachsen und tschechischen Gewerkschaftern von ČMKOS von einem überraschenden Erfolg berichten: In der polnischen Bauer-Druckerei BDN war eine neue Solidarnosc-Betriebsgruppe gegründet worden. Dabei sah es noch in der Woche zuvor gar nicht gut aus für Gewerkschafter/innen und Interessierte bei BDN in Wykroty in der polnischen Sonderwirtschaftszone Nowogrodziec.

Vor dem Werkstor hatten am 17. Oktober 250 Solidarnosc-Mitglieder gegen die fristlose Kündigung von drei Kollegen protestiert. Die drei hatten sich nach der Schicht mit Solidarnosc-Vertretern vor dem Werkstor getroffen. Allein der Kontakt zur Gewerkschaft war dem Unternehmen Anlass genug, um sie wenige Tage später zu entlassen. Mit Wachschutz wurden sie vom Gelände geführt.
Wenn Solidarnosc kommt…

Der Betrieb steht auf der grünen Wiese, die 400 Beschäftigten werden täglich mit dem Betriebsbus zur Schicht gefahren und auch wieder abgeholt. So standen die drei Entlassenen dann mitten am Tag vor dem Werkstor und hätten noch Stunden auf den Bus warten müssen. Ohne zu wissen, ob er sie überhaupt noch mitnimmt. „Wir haben lieber die Solidarnosc angerufen, und die Kollegen haben uns dann abgeholt“, erzählt ein Betroffener. Namentlich genannt werden möchte er nicht. Zu groß ist die Angst, nach einer Veröffentlichung in der gesamten Gegend keine Arbeit mehr zu finden. In der Sonderwirtschaftszone soll es branchenübergreifend ein Abkommen zwischen den Arbeitgebern geben, niemanden einzustellen, der woanders entlassen wurde.

Als die Solidarnosc-Mitglieder am 17. Oktober vor der Druckerei protestierten, versuchte die Betriebsleitung auf drastische Weise, sie einzuschüchtern: Sie rief die Staatsmacht, also die Polizei. Vor dem Eingang standen Dutzende Beamte in Kampfausrüstung. Aus dem Gebäude heraus und vom Werksgelände wurden die Protestierenden gefilmt. Die Polizisten ließen lediglich eine schmale Gasse zwischen sich und dem Eingangsbereich offen, durch die die Arbeiter zum Schichtwechsel das Tor erreichen konnten. Von der Gewerkschaft wurden die Beschäftigten mit Silvesterböllern ermutigt, miteinander reden durften beide Gruppen nicht. Beschäftigte, die es wagten, ein Flugblatt anzunehmen, mussten es am Werkstor wieder abgeben. Einige, die von der Schicht kamen und zum Firmenbus gingen, griffen jedoch trotz Polizeipräsenz mutig zu.

„Nach dieser Aktion gab es so viele Eintritte von Kollegen der Druckerei bei der Solidarnosc, dass sie eine Betriebsgruppe gründen konnten“, sagt Markus Schlimbach, stellvertretender DGB-Vorsitzender im Bezirk Sachsen und Präsident des Interregionalen Gewerkschaftsrats (IGR) Elbe-Neiße. Der IGR Elbe-Neiße ist eine grenzüberschreitende Initiative der Gewerkschaft NSZZ Solidarnosc, Region Jelenia Góra, der Böhmisch-Mährischen Konföderation der Gewerkschaftsverbände ČMKOS Nordböhmen und des DGB-Bezirks Sachsen.
…entlässt Bauer die Leute

Auch aus Deutschland waren Gewerkschafter/innen von DGB und ver.di nach Polen gekommen, um sich am Protest zu beteiligen. Der Versuch, der Betriebsleitung eine Petition der Solidarnosc zu übergeben, scheiterte jedoch, weil niemand bereit war, das Schreiben entgegenzunehmen. In der Petition wurde die Betriebsleitung aufgefordert, die Arbeiter wieder einzustellen und den gewerkschaftsfeindlichen Kurs aufzugeben. Zuvor hatte die Solidarnosc bereits an den Leiter der polnischen Bauer-Gruppe in Warschau geschrieben. Aus der Antwort geht klar hervor, dass der Konzernvorstand seine antigewerkschaftliche Haltung nicht aufgeben will. Zeitgleich zu dem Protest in Nowogrodziec hatten etwa 20 Gewerkschafter der Masowien-Region NSZZ Solidarnosc vor der Konzernzentrale in Warschau demonstriert.

Zumindest die Betriebsleitung in Nowogrodziec fürchtet offenbar auch um den eigenen Arbeitsplatz. „Uns ist gesagt worden, wenn die Solidarnosc in den Betrieb kommt, kommt Bauer aus Deutschland und entlässt alle. Auch die Betriebsleitung“, sagte einer der Gekündigten.
Solidarität über Grenzen

Die Arbeitsbedingungen und Löhne bei BDN sind auch für polnische Verhältnisse schlecht. Ein Helfer in der Weiterverarbeitung bekommt umgerechnet rund 450 Euro monatlich, ein Facharbeiter erhält 100 bis 200 Euro mehr. Die Preise für viele Produkte sind inzwischen mit denen in Deutschland vergleichbar. In Polen ist es zudem üblich, dass für Wochenendarbeit zusätzlich Freizeit gewährt wird. Für samstags geleistete Arbeitsstunden gibt es die Hälfte und für Sonntagsarbeit hundert Prozent der Stunden frei. Bei BDN aber erhalten die Beschäftigten auch für Sonntagsarbeit nur die Hälfte der Stunden. Und auch an allen Feiertagen werde gearbeitet, berichtet ein Kollege.

Auf dem tarifpolitischen Workshop der Gewerkschafter/innen in Görlitz verständigten sich die Vertreter aus der Grenzregion Sachsen, Tschechien und Polen darauf, einander regelmäßig über tarifpolitische Entwicklungen in ihren Ländern zu informieren. Zudem sicherte man sich weiterhin Unterstützung bei Tarifauseinandersetzungen zu.

„Der Fall BDN zeigt, dass Solidarität bei Tarifstreits über Ländergrenzen hinweg immer wichtiger wird, umso mehr, weil die Unternehmen zunehmend international agieren – wie die Bauer Media Group“, sagt Markus Schlimbach. Darum geht es bei den tarifpolitischen Workshops der Gewerkschafter/innen aus den drei Ländern. Auch Franciszek Kopeć, der Vorsitzende der Region Jeleniogórski NSZZ Solidarnosc, spricht vom gemeinsamen Handeln: „Die Gewerkschaften müssen sich auf europäischer Ebene gegen Bauer zusammentun.“ Aus Deutschland haben ihm die Kollegen schon Unterstützung zugesagt. Bei der Protestaktion wurde ein Grußwort von Kersten Artus verlesen, der Konzernbetriebsratsvorsitzenden der Bauer-Gruppe: „Wir sind betroffen über die Information, welche Arbeitsbedingungen in der Druckerei Wykroty-Nowogrodziec herrschen sollen. Dass drei Arbeitnehmern gekündigt wurde, entsetzt uns. Wir wünschen ihnen, dass sie erfolgreich um ihre Arbeitsplätze vor Gericht streiten, mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft.“

Der Bauer-Konzernbetriebsrat hatte sich an die Hamburger Konzernleitung gewandt, die den Vorwurf zurückwies, die drei seien entlassen worden, weil sie sich mit Solidarnosc-Vertretern getroffen haben. Kersten Artus erinnerte auch an die Erfahrungen der Beschäftigten bei Bauer Druck Köln: „Wir mussten erleben, wie der Konzern aus purem Gewinnstreben unsere Tiefdruckerei in Köln Ende letzten Jahres geschlossen hat. Zuletzt verloren 400 Männer und Frauen ihre Arbeit. Viele von ihnen waren Jahrzehnte dort beschäftigt.“

Bauer war mit dem Kölner Tiefdruckbetrieb im Jahre 2009 aus der Tarifbindung gegangen. Die Belegschaft hatte sich mit einem Streik dagegen gewehrt und konnte schließlich einen Haustarifvertrag durchsetzen. Daraufhin zog Bauer gezielt Druckaufträge aus Köln ab, etliche davon gingen an die konzerneigenen Druckereien nach Polen. Für den Ausbau der Druckerei in Nowogrodziec erhielt Bauer im Jahr 2008 vom polnischen Staat Beihilfen in Höhe von 47 Millionen Euro. Zwei Jahre später wurde der Betrieb in Köln geschlossen.

Die früheren Beschäftigten von Bauer in Köln beobachten jetzt nicht nur mit Interesse, was die polnischen Gewerkschafter tun, sie sind auch solidarisch mit ihnen. Toni Same, der letzte Betriebsratsvorsitzende von Bauer-Druck Köln (BDK), gratulierte der Solidarnosc zur neuen Betriebsgruppe und kündigte an, sie zu unterstützen. Er will sich zu einem Erfahrungsaustausch mit den polnischen Gewerkschafter/innen treffen.

(aus ver.di Publik von Silke Leuckfeld)

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